Das Reisetagebuch


Das Tagebuch der Schweizreise existiert in zwei zeitgleich entstandenen Handschriften. Sie befinden sich durch testamentarische Bestimmung Adolph Traugott von Gersdorfs seit 1807 in der «Oberlausitzischen Bibliothek der Wissenschaften» in Görlitz (OLB) und tragen die Signaturen ATvG 73 sowie ATvG 74.

Beide Handschriften weisen Folioformat auf (Höhe circa 36,8 cm, Breite circa 23,7 cm, Dicke des Originals circa 10,5 cm, Dicke der Abschrift 9,5–10 cm).

Originale Handschrift

Die Originalhandschrift ist in einen grauen Kartoneinband gebunden, der aus dem 18. Jahrhundert stammt. Auf dem Buchrücken steht mit Tinte geschrieben: «Reise Journal Vol. XI. 1786.» Dies bedeutet, dass das Journal der Schweizreise der elfte Band von Gersdorfs Reisejournalen ist. Die Beschriftung stammt sehr wahrscheinlich von Gersdorf selbst.

Wenn man den Band aufschlägt, erblickt man zunächst ein Leerblatt mit dem Stempel der Bibliothek der «Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften» (OLGdW, um 1900) auf der Vorderseite.

Auf der Vorderseite des folgenden Blatts wiederum steht in Gersdorfs Handschrift geschrieben: «Vol: XI. 1787». Dieses falsche Datum wurde – vermutlich von Gersdorf selbst – mit Bleistift in «1786» korrigiert. Der Irrtum rührte daher, dass die Reinschrift des Reisejournals vom Sommer 1786 erst im Lauf des Jahres 1787 entstand.

Auf derselben Seite ist auch nochmals der schon erwähnte Bibliotheksstempel zu sehen.

Die Rückseite des Blatts weist den Stempel der OLGdW auf, der ab 1950 in Gebrauch war. Darunter steht mit Bleistift «Ms. XI» in einer modernen Handschrift.

Die Vorderseite des dritten Blatts stellt das Titelblatt dar und enthält ausser Gersdorfs Titel «Bemerkungen auf einer Reise […]» eine Bleistiftnotiz (vermutlich aus dem frühen 20. Jahrhundert) mit dem Hinweis, dass unter Manuskript Nr. 29 eine Dublette des vorliegenden Textes existiere. Mit dieser Dublette ist die Abschrift des Reisejournals gemeint.

Auf der Vorderseite des vierten Blatts beginnt das eigentliche Reisejournal mit dem Datum des 19. Mai 1786 und der Seitenzahl 1.

Der Text des Reisejournals umfasst – ohne Gersdorfs Titelblatt – 914 Seiten. Dahinter folgen zwei Seiten mit der Abschrift eines Briefs von Sigmund Gottlieb Studer aus Bern an Gersdorf. Gemäss der originalen Paginierung sollten es – ohne Titelblatt und ohne Studers Brief – 971 Seiten sein. Die Differenz von 57 Seiten rührt daher, dass die Seite 79 doppelt sowie die Seite 549 gar dreifach gezählt wurde und dass die Nummerierung von Seite 819 direkt zu Seite 880 springt. (Es fehlt kein Text, aber der Schreiber las die Seitenzahl 819 offensichtlich als 879).

Der Aufbau des Reisejournals ist logisch und übersichtlich. Jede Reiseetappe beginnt mit einer minutengenauen Zeittabelle, sodass die absolvierte Route – inklusive Pausen – genau nachvollziehbar wird. Dies zeugt von Gersdorfs schon fast pedantischer Ordentlichkeit.

Anschliessend an die Zeittabelle folgt der Text mit der Schilderung der jeweiligen Reiseetappe. Gersdorf wählte als Darstellungsart den damals beliebten Spaltentext. Er beschrieb die rechte Spalte, sodass die linke Spalte für Ergänzungen frei blieb. Häufig flickte er auch Korrekturen und kurze Nachträge zwischen den Zeilen des Haupttextes ein.

Beobachtungen zu den unterschiedlichsten Themen und Ereignissen (Berichte über den Stand der Vegetation, das Wetter, den Pegelstand von Flüssen und Seen, die Höhe von Bergen, die Beschaffenheit von Mineralien, den Zustand der Strassen, technische Einrichtungen usw. ebenso wie über die Bauweise der Häuser, die Kleidung der Bevölkerung, Besuche von Gottesdiensten und Konzerten, Badeanstalten, die Qualität der Unterkunft sowie über die Begegnung mit diversen Persönlichkeiten) machen Gersdorfs Reisejournal zu einer einzigartig reichhaltigen Informationsquelle. Leider wird die Erschliessung dieser Reichhaltigkeit erschwert, weil Gersdorf seine Mitteilungen ohne Übergänge aneinanderreihte und – wie es im 18. Jahrhundert häufig vorkam – sehr lange und verschachtelte Sätze bildete, sodass man hin und wieder einen Satz zwei Mal lesen muss, um den Inhalt richtig zu erfassen.

Die ersten 229 Seiten schrieb Gersdorf selbst. Seine breitgezogene Schrift bietet ein regelmässiges und harmonisches Bild. Sie ist sehr flüssig. Man merkt, dass Gersdorf es gewohnt war, sich schriftlich auszudrücken. Ziemlich häufig, vor allem bei der Beschreibung von Mineralien, wird die Schrift allerdings flüchtig und wirkt hastig. Endungen sind deshalb manchmal nicht eindeutig zu eruieren.

Gersdorfs Orthografie ist ausgezeichnet und sehr konsequent. Mit wenigen Ausnahmen (z. B. elektrisch – electrisch) schrieb er dasselbe Wort immer gleich, was damals nicht selbstverständlich war. Substantive sind fast immer gross-, Verben und Adjektive dagegen kleingeschrieben. Teilweise ist die Orthografie so modern, dass man staunt, beispielsweise bei Wörtern wie «Spitze» oder «zuletzt». Diese wurden in der Abschrift – wie es durchaus gebräuchlich war – mit «z» geschrieben, Gersdorf aber schrieb sie konsequent mit «tz». Auch die Silbentrennung sowie die Getrennt- und Zusammenschreibung entsprechen häufig den heutigen Gepflogenheiten.

Eine Spezialität Gersdorfs scheint die Konsonantenverdoppelung zu sein, die nur dann zur Anwendung kommt, wenn hinter dem Konsonanten eine Endsilbe folgt («Schif» – «Schiffe», «schrof» – «schroffen», «Model» – «Modelle»). Eine Ausnahme von dieser Regel betrifft die Farbe Weiss, bei der trotz Endsilbe nur ein «s» geschrieben wurde: «weislich».

In der Mitte von Seite 230 taucht erstmals eine andere Handschrift auf, die vermutlich von Gersdorfs Sekretär stammt. Je weiter das Reisejournal fortschreitet, desto häufiger trifft man auf die Schrift des Sekretärs. Gegen Ende der Aufzeichnungen schrieb fast nur noch dieser. Im Gegensatz zu Gersdorfs Schrift wirkt diese Handschrift ziemlich verkrampft und unregelmässig. Die Orthografie jedoch ist gut. Die vom Sekretär geschriebenen Passagen sind sogar in der Transkription erkennbar: da die Schrift viel enger ist, fand auf einer Zeile mehr Text Platz, woraus sich in der Transkription deutlich längere Zeilen ergeben. Auch weitere Unterschiede lassen sich ausmachen. Beispielsweise trennte der Sekretär die hochgestellten Zeichen nach einer Zahl nicht mit einem Punkt ab wie Gersdorf, sondern unterstrich sie doppelt. Manchmal taucht bei ihm ein Grossbuchstabe mitten in einem Wort auf, eine Gepflogenheit, die im 18. Jahrhundert üblich war, die Gersdorf aber nicht praktizierte. Siehe z. B.: «VorMittags» (Seite 299); «KornMagazin», «ObstBäume» (Seite 461); «ZwischenBerge» (Seite 683). Die Beispiele sind willkürlich herausgegriffen.

Der häufige Wechsel zwischen den Schriften Gersdorfs und seines Sekretärs gibt wertvolle Hinweise auf die Textgenese. Offensichtlich entstand die Reinschrift des Reisejournals erst nach der Rückkehr nach Rengersdorf.

Es gibt Indizien dafür, dass Gersdorf den Text seines Journals auf der Reise entwarf und dann zu Hause ins Reine übertrug bzw. von seinem Sekretär abschreiben liess. An einigen Stellen liess der Sekretär eine Lücke, die Gersdorf mit dem dahin gehörenden Wort füllte. Dies weist darauf hin, dass Gersdorf nicht diktierte, sondern der Sekretär einen wohl sehr flüchtig geschriebenen Text kopierte und Platz frei liess, wenn er ein Wort nicht entziffern konnte. Auch gibt es ab und zu Wörter in dem vom Sekretär zu Papier gebrachten Text, die Gersdorf durchstrich und korrigierte. Dies spricht ebenfalls gegen ein Diktat.

Weitere Auffälligkeiten des Manuskripts geben ebenfalls Hinweise auf Gersdorfs Arbeitsmethode und darauf, dass das Reisetagebuch nach dem Abschluss der Reise nicht fertig war und Gersdorf noch während mehrerer Jahre Präzisierungen, Korrekturen und Ergänzungen vornahm. Vor allem die dem Reisejournal angehängte Abschrift eines Briefs von Sigmund Gottlieb Studer aus Bern vom Juli 1788 zeigt, dass Gersdorf sogar zwei Jahre nach der Reise noch bemüht war, seine Schweizkenntnisse zu erweitern, und dass er im Fall von Meinungsverschiedenheiten aktiv mitdiskutierte.

Aus dem Reisejournal wird deutlich, welche Themen Gersdorf hauptsächlich interessierten. Die meisten nachträglichen Korrekturen und Ergänzungen betreffen Mineralien und Berge. Fast immer wird der Text an solchen Stellen unruhig und weist durchgestrichene Wörter, Einschübe über der Zeile und/oder in der linken Spalte auf. Dies zeugt von Gersdorfs Bemühen, so präzise wie möglich zu beschreiben.

Immer wieder wird der Text durch Federzeichnungen, die sich teilweise über mehrere Seiten erstrecken, und die dazugehörigen Legenden unterbrochen. Die Zeichnungen sind kein schmückendes Beiwerk, sondern ein integraler Bestandteil des Reisejournals. Sie wurden ebenfalls von Gersdorf selbst angefertigt. Er übertrug alle Ansichten, die er direkt auf der Reise in seine Skizzenbücher gezeichnet hatte, sorgfältig in die Reinschrift des Reisejournals. Wie Bleistift-spuren erkennen lassen, skizzierte Gersdorf die Zeichnungen mit Bleistift, bevor er sie mit Federstrichen ausarbeitete.

Die Zeichnungen zeigen, dass Gersdorf darin geübt war, rasch zu skizzieren. Für die Strecke von Interlaken nach Lauterbrunnen beispielsweise benötigt man zu Fuss gut 3 Stunden. Gersdorf und seine Begleiter absolvierten sie in 4 Stunden und 9 Minuten. Insgesamt etwa 1 Stunde wurde also mit mehreren kurzen Pausen verbracht. In diesen fertigte Gersdorf nicht weniger als vier Zeichnungen an, zwei grössere und zwei kleinere. Das ergibt grob gerechnet 20–25 Minuten für eine grössere und 5–10 Minuten für eine kleine Zeichnung.

Sehr umfangreich ist der Anhang des Reisejournals. Dieser besteht aus 110 Seiten Tabellen. Die erste Tabelle von 93 Seiten enthält Gersdorfs akribisch notierte Beobachtungen bezüglich Barometerstand («Schwere» genannt), Temperatur, Wind und Witterung zu jeder Reisestation mit genauer Angabe von Ort, Datum und Zeit. Die tabellarischen Einträge ergänzte Gersdorf häufig mit Erläuterungen.

Um nach der Reise klimatologische und meteorologische Vergleiche anstellen zu können, hatten Gewährsleute Gersdorfs in Rengersdorf und Meffersdorf den Auftrag, während seiner Abwesenheit ihrerseits täglich den Barometerstand, die Temperatur, den Wind und die Witterung vor Ort zu notieren. Zudem scheint Gersdorf entsprechende Werte von Wittenberg einer gedruckten Schrift entnommen zu haben. All diese Vergleichswerte trug er ebenfalls in die Tabelle ein, die sich deshalb über eine Doppelseite erstreckt.

Eine weitere Tabelle mit der Angabe der mittleren Barometerhöhe von Orten und Bergen sowie deren Benennung umfasst 17 Seiten und enthält auch einen kurzen Vergleich der von Gersdorf gemessenen Höhen mit den Angaben von Saussure, Pictet und Deluc sowie Erläuterungen zu bisher – nach Gersdorfs Überzeugung – falsch angegebenen Höhen und zu seiner Vorgehensweise, die mittlere Barometerhöhe zu berechnen.

Der Band schliesst mit fünf Seiten, die für die Eintragung von Tabellen vorbereitet, aber nicht mehr gebraucht wurden, sowie mit weiteren fünf Leerseiten.

Vanja Hug

(Quelle: Vanja Hug, Martin Schmid und Gerd Folkers (Hg.): Adolf Traugott von Gersdorfs Schweizer Reise, Chronos Verlag Zürich: 2018.)